Faktoren der Risikowahrnehmung
Menschen nehmen mögliche Risiken meist unterschiedlich wahr, da sie sich von Gefühlen und moralischen Werten öfter beeinflussen lassen, als sie rein sachlich und nüchtern einzuschätzen. Diese Verhaltensweise kann sich positiv wie auch negativ auf den Menschen auswirken.
Faktoren der Risikowahrnehmung
Bis vor kurzen ging man noch fest davon aus, dass nur zwei entscheidende Faktoren für die Risikowahrnehmung eines Menschen verantwortlich sind:
- Höhe des möglichen Schadens / Verlustes
- Wahrscheinlichkeit, dass dieser Schaden / Verlust eintritt
Neueste Untersuchungen zeigen aber, dass es noch zwei wichtige Faktoren gibt, die nicht außer Acht gelassen werden können:
- emotionale Bewertung (schreckliche Situationen, unbekannte Situationen, die nicht vorhersehbar sind)
- moralische Bewertung (Vorgaben aus menschlichen Normen)
Moderne Risiken:
- Kernkraftenergie
- Klimawandel
- genetisch veränderte Lebensmittel
- Krankheiten (Vogelgrippe, BSE, EHEC, usw.)
- Schussverletzung durch Jäger 1)Jäger = Unwort wegen Mord
- usw.
Diese kleine Aufzählung zeigt, dass der moderne Mensch am häufigsten mit selbstverschuldeten Problemen zu kämpfen hat, die sich in kein Modell hineinpressen lassen – die Berechnung des sogenannten rationalen Kalküls dieser Risiken ist und bleibt damit ein Wirtschaftsmärchen. Auch Naturkatastrophen können weder modifiziert noch zu Gunsten des Menschen beeinflusst werden.
Ablauf der subjektiven Risikowahrnehmung
- Phase: gedankliche Risikoeinschätzung einer bestimmten Situation und Abwägung von Ursache und Folge in stark vereinfachter Form
- Phase: Aufmerksamkeit entweder auf die Ursachen oder auf die Folgen des Risikos
- Phase: Abschätzung der Gefährlichkeit / der Konsequenzen
- Phase: unbewusste Entstehung von Emotionen (Furcht, Empörung, Schuld, Hoffnung,…)
- Phase: unbewusste Entstehung von Verhaltensweisen (Hilfe leisten, Ablehnung, Agression,…)
Das deckt sich auch mit den wissenschaftlichen Untersuchungen, die bereits in den 1980iger Jahren bewiesen haben, dass sich gesunde Menschen weder von Wahrscheinlichkeiten noch der Abwägung möglicher Schäden beeinflussbar zeigen, wenn sie eine Situation als riskant oder ungefährlich einordnen sollen.
Bekannte Beispiele:
Laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland
Die Bundesregierung (CDU/CSU und FDP) beschloss im Oktober 2010 unter Protest vieler Menschen die Laufzeit der deutschen AKWs um ca. 12 Jahre zu verlängern, obwohl die vorhergehende Regierung (SPD und Grüne) Atomkraftwerke bis 2020 außer Betrieb setzen wollte. Die Risikowahrnehmung war und ist hier deutlichen Schwankungen ausgesetzt, sowohl unter Politikern als auch in der Bevölkerung.
Wer seine Aufmerksamkeit „nur“ auf die Wahrscheinlichkeit eines Unglücksfalles legt, schätzt das Risiko deutlich geringer ein, als Jemand der zusätzlich auch die Problematik um den Atommüll im Auge hat. Denn egal wie sicher deutsche Atomkraftwerke auch sein mögen – der gefährlichen Müll den sie produzieren kann auch heutzutage weder recycelt noch sicher eingelagert werden.
Dennoch – vor dem Gau in Fukushima focusierte die jetzige Regierung nur die Tatsache, dass Folgen und Ursachen zurückliegender AKW-Unfälle penibel untersucht und mit Analysen technischer Experten abgeglichen wurden. Erst als sich am 22. März 2011 vor der Ostküste Japans das schwerste je gemessene Erdbeben ereignete und es in Folge dessen zum Austritt radioaktiver Strahlung kam (mit dem kein Mensch gerechnet hatte) stellte Deutschland sein 7 ältesten Atomkraftwerke ab.
Nun empörten sich die meisten Menschen plötzlich über:
- den Leichtsinn der Politiker, die den Bau von AKWs auch in erdbebengefährdeten Regionen genehmigt hatten
- die Atomindustrie, die nur nach Gewinn strebt und dabei den Tod vieler Menschen in Kauf nimmt und für die radioaktive Verseuchung der Natur verantwortlich ist
Zusammenfassung:
Dieses Verhalten zeigt deutlich, wie unterschiedlich Gefahren auch in relativ kurzer Zeit eingeschätzt werden, auch wenn der Atommüll auch weiterhin als ernstzunehmendes Problem vernachlässigt bleibt. Geändert hat sich größtenteils nur die emotionale Einstellung der Bevölkerung und einiger Politiker, sowie die moralische Beurteilung der verantwortlichen Menschen der Katastrophe.
Wirtschaftliche Interessen werden auch weiterhin allein durch die Kosten-Nutzen-Analyse erfasst. Sind die Gewinnaussichten hoch genug, wird sogar ein gewisses Risiko wie z.B. die Wahrscheinlichkeit, dass radioaktive Strahlung austritt, bewusst in Kauf genommen. Finanzanalysten bilden sich auf diese „kalkulierbaren“ Risiken sehr viel ein und blenden dabei völlig Umstände und Handlungen aus, die wirklich dahinterstecken.
das Erdbeben von Lissabon
Am 1. 11. 1755 ereignete sich eine nicht vorhersehbare Katastrophe, die das damalige Europa gänzlich überraschend traf. An die 100.000 Menschen ließen bei dem Erdbeeben von Lissabon ihr Leben und kulturelle Schätze wurden für immer zerstört. Bis dato war man der Meinung, das Hunger, Krankheit oder Naturkatastrophen vom allmächtigen Gott als Strafe für die Sünden der Menschheit geschickt wurden und somit gerechtfertigt seien.
Aber nach dieser verheerenden Katastrophe setzte sich nun die Überzeugung durch, dass Naturkatastrophen willkürlich auftreten können und damit als Unglücksfälle anzusehen sind. Man begriff also langsam, dass alle Menschen bedroht sind, sowohl tugenhafte Christen als auch „Ungläubige“. Vorher war das „Böse“ nur auf menschliches Handeln beschränkt.
Der Terroranschlag auf das World Trade Center 2001
Als am 11.September 2001 zwei Passagierflugzeuge in die Twin Tower eingeschlagen sind, hat das Entsetzen darüber viele Menschen dazu bewogen vorerst auf Flugreisen zu verzichten und stattdessen viel längere Wege mit dem eigenen Auto in Kauf zu nehmen.
Paradoxerweise hat sich in den 12 Monaten nach dem Terroranschlag die Zahl der Verkehrstoten in den USA um 1.500 Menschen erhöht. Objektiv betrachtet waren damit Flugreisen nach dem 9/11 dennoch sicherer anzusehen, als die Reise mit dem Auto. Viele Menschen entschieden sich aber trotzdem unbewusst für die gefährlichere Variante.
Gesundheitsrisiko Rauchen
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Raucher, der über 30 Jahre des regelmäßigen Zigarettenkonsums, nun an Lungenkrebs erkrankt ist. Nun gibt es zwei Möglichkeiten die Situation zu analysieren:
- Nach der Kosten-Nutzen-Analyse hat er einfach Pech gehabt, denn nicht jeder regelmäßiger Raucher erkrankt in dem Maße.
- Der Raucher an seiner Situation selbst schuld, da er sich bewusst für ein gesundheitsschädliches Verhalten entschieden hat.
Gesundheitsrisiko Extremsportarten
Extremsportler erliegen oft dem Reiz der angenehmen Erregung, wenn sie sich in Schluchten stürzen oder auf extrem hohen Wellen reiten. Genau wie auch Rennfahrer sind solche Menschen nicht mehr in der Lage ihre Risiken, die sie bereitwillig eingehen nüchtern / rational einzuschätzen.
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