das Geburtsrecht – tierras baldías
In vielen abgelegenen Regionen Kolumbiens siedelten sich Bauernfamilien auf sogenanntem tierras baldías an – staatlich ungenutztem Land. Oft gab es dort keine Straßen, keine Behörden, keinen Strom.
Nur Dschungel, Ackerboden und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Wer das Land urbar machte, Häuser baute, Felder anlegte, war überzeugt davon, dass es ihm auch offiziell ihnen gehören würde.
Dieses moralische Anrecht wurde in vielen Gemeinden als eine Art Geburtsrecht angesehen – nicht im juristischen, aber im existenziellen Sinne. Hierbei geht es um Millionen Hektar Land. Allerdings wurde diese Vorgehensweise insbesondere im 19. und frühen 20. Jahrhundert auch staatlich gefördert, um das Landesinnere zu besiedeln.
Zuletzt war es Präsident Carlos Lleras Restrepo (1966–1970) der versuchte das Land gerechter zu verteilen – teils durch Enteignung, teils durch Vergabe von tierras baldías.
das kolumbianische Rechtssystem
Doch das kolumbianische Rechtssystem war träge, ungerecht verteilt und in der Regel auf Seiten der Großgrundbesitzer. Während eine kleine Elite riesige Ländereien besaß – teils ohne sie je zu betreten – lebten Millionen von Bauernfamilien ohne formelle Landtitel.
Und immer wieder kam es vor, dass genau diese Familien vertrieben wurden, wenn plötzlich jemand anderes – mit Geld, Beziehungen oder Waffen – Anspruch auf das Land erhob.
Gewaltexzesse
In den 1940er- und 1950er-Jahren eskalierte die Gewalt auf dem Land. Politische Spannungen zwischen den traditionellen Parteien (Liberale und Konservative) führten zu einem blutigen Bürgerkrieg – der sogenannten La Violencia. In dieser Zeit begannen sich viele Bauern zu bewaffnen, teils zur Verteidigung, teils als politische Reaktion.
Aus diesen Verteidigungsgruppen, die vor allem in abgelegenen Regionen wie Tolima, Meta oder Nariño aktiv waren, entstand schließlich in den 1960er-Jahren die FARC – die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens).
Ihr erklärtes Ziel: die gerechte Umverteilung des Landes und die Verteidigung der Rechte der armen Landbevölkerung. Die FARC verstand sich als marxistisch inspirierte Guerillaorganisation.
Für viele ihrer Anhänger war sie nicht einfach eine bewaffnete Gruppe, sondern eine Organisation der Bauern, die von der offiziellen Politik vergessen wurden – Menschen, die nie einen Landtitel bekamen, obwohl sie ihr ganzes Leben auf dem Feld verbracht hatten.
FARC wird skrupellos
Was als bäuerliche Bewegung begann, wandelte sich mit der Zeit. Die FARC wurde größer, militärisch stärker, und geriet zunehmend in Widerspruch zu ihrer eigenen Basis. Um sich zu finanzieren, begann sie mit:
- Entführungen
- Schutzgelderpressung
- und später auch mit dem Drogenhandel.
Viele ihrer ursprünglichen Ideale – Landreform, soziale Gerechtigkeit, politische Teilhabe – gerieten im Zuge der Gewalt quasi in Vergessenheit. Trotzdem blieb diese Denkweise (und gängige Praxis seit Generationen, das Recht auf Land – ein zentrales Thema im kolumbianischen Konflikt.
Viele Regionen wurden nur durch die FARC verwaltet, weil der Staat dort nie präsent war. Schulen, Gesundheitsversorgung, selbst rudimentäre Justiz – all das übernahmen teils die Guerilleros.
Für nicht wenige Bauern war die FARC daher lange Zeit ambivalent: einerseits bewaffnet und bedrohlich, andererseits auch die einzige Macht, die ihr Recht gegenüber „denen da oben“ verteidigte.
das Friedensabkommen
Mit dem Friedensabkommen von 2016 begann ein neuer Versuch, die historische Landfrage zu lösen.
Dieses Friedensabkommen mit der FARC enthält ein ganzes Kapitel zur „integralen ländlichen Reform“ deren Ziel es ist, Land gerechter zu verteilen und die Rechte von Bäuerinnen und Bauern zu stärken – unter anderem durch Landtitel, Rechtssicherheit und Infrastruktur.
Und trotzdem ist das noch heute, Jahre nach dem Abkommen, eine der großen Baustellen in Kolumbien.
Text: @Infokomposter / Bluesky – Bildquelle: Ulises Casaraz / Pixabay