das Scherbengericht (Ostrakismos)
Der Ostrakismos (oder Scherbengericht) war ein politisches Verfahren im antiken Athen, das Bürgern ermöglichte, eine Person (meist ein mächtiger Politiker) ohne Gerichtsverfahren für zehn Jahre aus der Stadt zu verbannen, um potenzielle Tyrannei zu verhindern.
Ablauf:
Einmal jährlich wurde entschieden, ob überhaupt ein Ostrakismos stattfinden sollte. Dann schrieb die Bevölkerung ohne Abstimmung den Namen der Person, die sie verbannen wollten, auf Tonscherben (Ostraka).
Die Abstimmung fand nach genauer Zugangskontrolle auf der Agora statt. Angegeben wurde der Name des Auszuweisenden, oft auch der Vatersname und gelegentlich der Bezirk, dem er angehörte. Manchmal enthielten die Scherben auch Beschimpfungen für die verhasste Person. Wer nicht schreiben konnte, wurde von anderen Personen unterstützt.
mögliche Gründe für Verbannung:
- Kriegsfreunde (z.B. im Perserkrieg)
- wichtige Fragen der Außenpolitik (Aufrüstungspolitik gegen die Perser zur See)
- Konfrontationskurs gegen die Perser
- Konkurrenz
- mangelnde politische Eignung
- Besitzgier
- Verschwendungssucht
- übertriebener Eigensinn und Ehrgeiz
Kamen 6.000 Stimmen zusammen, musste derjenige (pro Ostrakismos immer nur eine Person) Athen verlassen, ohne Enteignung, aber für zehn Jahre. Die Person hatte 10 Tage Zeit, aus der Stadt zu verschwinden (sonst drohte die Todesstrafe).
Gelegentlich wurden Verbannte vorzeitig wieder zurückgerufen, z.B. wenn sie gegen Kriegsgegner nützlich sein könnten.
Hochwahrscheinlich wurde das Verfahren durch die Kleisthenischen Reformen im Jahr 507 v.u.Z. eingeführt und zum ersten Mal im Jahr 488/87 v.u.Z. und zum letzten Mal im Jahr 417/415 v.u.Z. eingesetzt.
Das zugrundeliegende Gesetz wurde möglicherweise schon auf Antrag des Kleisthenes im Jahre 507 v.u.Z. erlassen. Ähnliche Verfahren gab es auch in anderen griechischen Städten (z.B. Syrakus).
15 Ostrakismen
- 488/87 v.u.Z.: Hipparchos, Sohn des Charmos
- 487/86 v.u.Z.: Megakles, Sohn des Hippokrates – 480 v.u.Z. zurückberufen
- 485/84 v.u.Z.: Xanthippos, Vater des Perikles – 480 v.u.Z. zurückberufen
- 483/82 v.u.Z.: Aristeides – 480 v.u.Z. zurückberufen
- 472/71 v.u.Z.: Megakles, Sohn des Hippokrates
- 471/70 v.u.Z.: Themistokles, der Sieger von Salamis
- 461/60 v.u.Z.: Kimon, Sohn des Miltiades
- 444/43 v.u.Z.: Thukydides, Sohn des Melesias
- 417/15 v. Chr.: Hyperbolos, letzte Ostrakisierung
In späterer Zeit wurde das Scherbengericht vermehrt zur Entfernung des Zweitmächtigsten genutzt und diente damit nur der Konkurrenzbeschränkung unter den Politikern. Allerdings konnten auf diese Weise auch gewaltsame innere Auseinandersetzungen unterbunden werden.
Die letzte Abstimmung erfolgte mit geheimer Absprache zu Lasten eines Antragstellers, sodass keine weitere Ostrakophorie mehr durchgeführt wurde, obwohl die Bevölkerung noch weitere 100 Jahre hätte abstimmen können.
Mittlerweile konnten bis zu 11.000 Scherben ua. im Altarm des Eridanos im Kerameikos ausgegraben werden. Die weitgehend einheitliche Fundsituation ermöglichte oftmals eine sehr genaue Datierung.
Als Nachfolge des Ostrakismos werden zwei Verfahren angegeben, die sich gegen fehlgeleitete Antragsteller in der Volksversammlung richteten. Vor einem Strafgericht konnten gesetzeswidrige oder unzweckmäßige Anträge angeklagt und der Verursacher verurteilt werden.
Immer wieder werden Stimmen laut, abgewandelte Verfahren auch in der Neuzeit anzuwenden und statt der Verbannung ein mehrjähriges Berufsverbot auszusprechen, z.B. um Faschismus und bewusster Desinformation besser entgegenwirken bzw. sanktionieren zu können.
Quellen:
de.wikipedia.org/wiki/Scherbengericht
Text: @Infokomposter & @Anouk / Bluesky – Bildquelle: Jörn Schimmelmann / Pixabay